Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit mit steigender Inzidenz, genauso wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen – dies ist nicht nur eine neue medizinische Herausforderung, sondern auch zunehmend eine sozioökonomische.

Prof. Dr. med. Sebastian Weckbach hat dazu in der Zeitschrift "Medizin & Ökonomie" vom Dezember 2021 einen Artikel zu den Hintergründen und den zugrunde liegenden Schmerzursachen verfasst.

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Artikel

Rückenschmerzen – stark ansteigende Inzidenz
Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit, die mit den bekannten Erkrankungen wie z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mittlerweile um die vorderen Plätze in der Häufigkeitsstatistik konkurriert. Die Tendenz zu Neuauftreten von Beschwerden, Behandlungsbedürftigkeit und damit einhergehenden Kosten ist stark ansteigend. Gründe hierfür sind vielfältig, jedoch sicherlich auch auf unsere alternde Gesellschaft zurückzuführen.

Laut aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik waren 2020 1.64 Mio. Einwohner in der Schweiz 65 Jahre und älter, im Jahre 2050 sollen dies bereits 2.67 Mio. sein. Zudem prognostiziert das Bundesamt eine mehr als Verdoppelung der Anzahl der Seniorinnen und Senioren über achtzig Jahren von aktuell 0.46 Mio. auf 1.1 Mio. im Jahre 2050.

88% klagen über Rückenschmerzen
Eine Umfrage der Schweizer Rheumaliga aus dem Jahre 2020 erbrachte ebenso ernüchternde Zahlen zur Volkskrankheit Rückenschmerz. Hier klagten 88 % der Befragten über Rückenschmerzen innerhalb der letzten 12 Monate. 50 % gaben an, sogar mehrmals pro Woche an Rückenschmerzen zu leiden. In dieser Umfrage waren alle Altersgruppen betroffen. 2011 gaben im Vergleich hierzu lediglich 39 % an, mehrmals pro Woche an Rückenschmerzen zu leiden, wobei der Anteil an rückenschmerzfreien Patienten von 7 % auf 2 % gesunken ist. Von Hatvigsen und Kollegen wurden 2018 in der renommierten Fachzeitschrift «The Lancet» Rückenschmerzen als Ursache Nummer 1 weltweit für körperliche Beeinträchtigungen beschrieben.

Sehr häufig, aber günstige Prognose
Die Auftretenswahrscheinlichkeit von behandlungsbedürftigen Rückenschmerzen wird für den tiefen Kreuzschmerz mit 80 %, für den Schmerz im Bereich der Halswirbelsäule mit 48.5 % und für die Brustwirbelsäule mit 12 % angegeben. Trotz dieser negativen Trends ist die allgemeine Prognose für Rückenschmerzen eigentlich günstig mit einem häufig selbstlimitierenden Verlauf.

Rückenschmerzen – 2. teuerste Erkrankung in der Schweiz
2019 wurden von Langenegger und Kollegen die direkten medizinischen Kosten 2011 für den Rückenschmerz in der Schweiz mit 3 755 Mio. CHF beziffert. Hinzu kommen die indirekten Kosten wie zum Beispiel für Arbeitsausfall, die von Wieser und Kollegen 2014 auf 7 460 Mio. CHF beziffert wurden. Somit nimmt der Rückenschmerz sozioökonomisch bereits den 2. Platz der teuersten Erkrankungen der Schweiz mit 13,4 % der Gesundheitskosten ein. Tendenz steigend. Den unrühmlichen 1. Platz beanspruchen nach wie vor die Herz-Kreislauf-Erkrankungen für sich.

Spezifische und unspezifische Rückenschmerzen – Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitation
Rückenschmerzen jedoch sind laut einer Erfassung des Robert-Koch-Institutes 2012 Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitation. Medizinisch wird der Rückenschmerz in zwei grosse Gruppen eingeteilt, nämlich den spezifischen (15 %) und den unspezifischen (85 %) Rückenschmerz. Dies bedeutet, dass in nur 15 % der Fälle eine bildmorphologisch fassbare Pathologie im Bereich der Wirbelsäule vorliegt, die einer spezifischen Therapie zugänglich ist.

Die grosse Gruppe der nicht spezifischen Ursachen beinhaltet Erkrankungen aus anderen medizinischen Fachgebieten, wie z. B. abdominelle Ursachen, vaskuläre Erkrankungen, gynäkologische oder urologische Krankheitsbilder und nicht zuletzt Erkrankungen aus dem neurologischen bzw. psychosomatischen Formenkreis. Diese sind fachärztlich abzuklären und anschliessend konservativ/medikamentös und in seltenen Fällen interventionell zu therapieren.

Akute, subakute und chronische Symptomatik
Neben der Einteilung nach spezifischem und unspezifischem Rückenschmerz wird häufig eine Einteilung nach Länge der Symptomdauer in akut (bis 6 Wochen Symptome), subakut (bis 12 Wochen Symptome) und chronisch bei einer Symptomatik länger als 12 Wochen angewandt. In der Gruppe der spezifischen Rückenschmerzen werden als Schmerzursache am häufigsten verschleissbedingte Erkrankungen der kleinen Wirbelgelenke (Facettengelenksarthrose), Verschleiss der Bandscheiben mit konsekutiver Arthrose der Zwischenwirbelräume (Osteochondrose), degenerative Instabilitäten (Gleitwirbel), Verengungen des Rückenmarkskanals (Spinalkanalstenose) und durch Osteoporose hervorgerufene Wirbelkörperbrüche ausfindig gemacht. Seltenere Ursachen sind in Entzündungen und Tumorabsiedelungen oder wirbelsäuleneigenen Tumoren zu suchen.

Stufenschema Therapieoptionen – konservativ, interventionell und operativ
Therapeutisch stehen drei Säulen zur Verfügung. Zum einen die konservative / medikamentöse / physiotherapeutische Schiene und zum anderen die interventionelle Therapie. Schliesslich die operativen Verfahren. Dieses Stufenschema ist in den allermeisten Fällen anzuwenden. In einigen Fällen wie zum Beispiel bei hochgradigen Lähmungen, Blasen und Mastdarmbeteiligung, ausgeprägten Entzündungen, Tumoren oder instabilen Brüchen ist eine konservative Therapie nicht mehr angezeigt, sondern einzig die operative Versorgung.

 

In der Gruppe der konservativen Therapieansätze haben sich als effektiv in Studien nicht steroidale Antirheumatika, Opiate, Physiotherapie, manuelle/chiropraktische Therapie, Muskelrelaxanzien, Wärmeanwendungen und vor allem aktivierende Bewegungstherapie nachweisen lassen.

Interventionell steht als symptomatischer Therapieansatz die Option der Infiltration zur Verfügung. Hier werden verschiedene als Schmerzauslöser infrage kommende anatomische Strukturen wie zum Beispiel die kleinen Wirbelgelenke oder auch das Iliosakralgelenk, das die Wirbelsäule mit dem Becken verbindet, mit einem Lokalanästhetikum und einem Cortisonzusatz angespritzt.

Die operativen Strategien richten sich nach der zugrunde liegenden schmerzverursachenden anatomischen Struktur mit dem Ziel, dies zu sanieren (kausaler Therapieansatz). Hier kommen je nach Befund neben minimalinvasiven perkutanen Verfahren mikrochirurgische mikroskopische, endoskopische, aber auch offene korrigierende Verfahren zum Einsatz. Um das Therapiekonzept festlegen zu können, ist eine exakte Diagnose anhand einer adäquaten bildmorphologischen Abklärung und einer fachärztlichen, womöglich interdisziplinären Abklärung und Untersuchung Voraussetzung.

 
Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Rückenschmerzen multifaktoriell bedingt sind. Die medizinischen Herausforderungen liegen in der erfolgreichen Behandlung dieser Beschwerden, der Aufrechterhaltung der Lebensqualität der Patienten sowie dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit. Hierzu sind definitiv noch viele neue medizinische Erkenntnisse und Fortschritte sowie neue Therapieansätze notwendig, um noch mehr Erfolg verzeichnen zu können und auch die damit einhergehenden finanziellen Auswirkungen finanzierbar zu halten.

Heutzutage ist hier ein interdisziplinärer Behandlungsansatz aus mehreren verschiedenen Fachrichtungen zu fordern. Prävention nimmt ebenfalls beim Thema Rückenschmerz einen zunehmend hohen Stellenwert ein. Neben rückengerechtem Arbeiten und adäquater Arbeitsplatzgestaltung sind regelmässige Bewegung und Sport sowie Gewichtskontrolle die Basis für ein rückengesundes Leben.